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Autor Thema: Streik-Kultur in Deutschland
standard

Beiträge: 19.357
Registriert am: 26.01.2002


Da das Thema derzeit (wiedermal) die Gemüter erhitzt und kräftig durch den Blätterwald rauscht, würde ich auch hier ganz gerne mal einige Meinungen von Euch dazu hören.
"Alle streiken" - Piloten, Kita-Personal, Post- und Geldboten, Busfahrer,... - und natürlich die Lokführer!
Meine Meinung ist zuallererst, daß das Streikrecht eben ein RECHT ist, ein gesetzlich gesichertes bekanntlich. Und es ist seit Jahrzehnten fester Bestandteil des sogen. Tarifpokers - man mag das oft nicht gut finden, es ist aber schließlich das quasi einzige Druckmittel der Arbeit"nehmer"seite.
In den letzten Jahren - und im Zuge der Gründung von mehr und mehr "Splittergewerkschaften" scheint aber doch mitunter so einiges aus dem Ruder zu laufen.
So auch beim aktuellen Aufregerthema GDL und (erneuten) Lokführerstreik. So weit wie Koll. Wischmeyer würde ich zwar nicht gehen wollen (der übersetzt GDL mit "Geistesgestörte Lokführer Deutschlands" ) - dennoch scheint es dem streitbaren (und nicht eben als Sympathieträger taugenden ) Chef Weselsky um deutlich mehr als einen guten Tarifabschluß zu gehen. Da geht es um Macht(kampf) und wohl auch persönliche Profilierung. http://www.zeit.de/wirtschaft/2015-05/claus-weselsky-gdl-streik-buhmann
Wobei die Verhandlungsseite der Bahn offenbar auch voll auf Konfrontation geht, das Sympathiemanko Weselskys gut zu instrumentalisieren weiß.
(Mal sehen, ob das befürchtete Bahnchaos zu Pfingsten eintreten wird...)

Andererseits stand kürzlich zu lesen, daß insgesamt hierzulande im EU-Vergleich ausgesprochen wenig gestreikt wird - was wiederum auch dem "typisch deutschen Pflichtbewußtsein" entsprechen würde.
Wie steht Ihr der aktuellen "Streik-Kultur" gegenüber?

[Bearbeitet von standard (19-05-2015 - 22:20)]

Dachzelt_Ulli

Beiträge: 1.204
Registriert am: 28.02.2002


Auch wenn es manchmal ganz schön nervt: Meine Unterstützung haben die Streikenden. Denn es ist wirklich das einzige wirksame Mittel, arbeitsmäßig Verbesserungen zu erreichen. Wieso sollten einem die Arbeitgeber etwas schenken? Das muss man sich schon selbst erkämpfen.
Leid tun mir die, die so stark direkt davon betroffen bin, dass kein Hilfs-Netzwerk mehr ausreicht. Z.B. um Kinder zu betreuen, weil der Kindergarten streikt; Fahrgemeinschaften nicht gebildet werden können, weil es einfach gar nicht passt usw.

Folgendes Erlebnis hatte ich neulich: Ein Handwerker zu mir: "Streikst du auch mit? Na, ich kann mir das nicht erlauben, da macht mein Chef nicht mit." Ja, schon klar, mein Chef freut sich auch nicht, wenn die halbe Belegschaft streikt. Gegenfrage an den Handwerker: "Bist du denn in der Gewerkschaft?" Antwort: "Nö, so viel Geld verdiene ich gar nicht, dass ich mir das leisten kann. Und ich geh sowieso aus Prinzip in keinen Verein."
Ja, ohne organisierte Arbeiterschaft wird das wohl auch nichts mit Verbesserungen. Das Geld ist da in Deutschland, es wird eben nur an andere verteilt. Wer da etwas abhaben will, muss auch etwas dafür tun. In kleinen Firmen wird das allerdings nicht wirklich klappen.

Am besten wäre es (in großen Unternehmen), wenn die erstreikten Leistungen nur an die Streikteilnehmer ausgegeben werden. Ratz fatz wären alle Mitglied in der Arbeiterorganisation. Aber das wollen die Chefs ja nun gleich gar nicht, deswegen gibt es auch alle Leistungen für die Trittbrettfahrer. Das finde ich gar nicht so gut.

Wurstblinker

Beiträge: 613
Registriert am: 30.07.2002


@Standard:
Die "Splitter" oder Spartengewerkschaften sind aber derzeit ziemlich erfolgreich in der Akquise und Mobilisierung von Mitgliedern. Während die gewerkschaftliche Bindung stetig fällt, im Westen ca. 50% im Osten nur 35%, sind in o.g. 75% bis 95% organisiert.

Irgendwie haben viele nicht verstanden, dass das wir längst in einer tiefgespaltenen Gesellschaft angekommen sind, in der viele geradeso über die Runden kommen, während andere nicht wissen wohin mit dem Geld. Da ist Organisation wichtig wie nie, aber viele fühlen sich nur gestört.
Arbeitskampf bitte nur nach 18 Uhr möglichst im Keller, aber nicht zu laut bitte.

Erschreckend in diesem Zusammenhang ist die teilweise abartige mediale Hetzkampagne gegen die Person Weselsky bei der die Argumente vollständig auf der Strecke bleiben und nur die Person dämonisiert werden soll. Dabei sollte jedem, der halbwegs bei Verstand ist, klar sein, dass eine Gewerkschaft nicht nur aus einer Person besteht, sondern demokratisch organisiert ist.

Komisch ist auch, dass ausgerechnet ein Unternehmen, dass 100% dem Bund gehört, also uns allen, so rigoros gegen die Streikenden und die Bestreikten (also die Bahnkunden) vorgeht und keinerlei Kompromissbereitschaft zeigt. Wahrscheinlich ist dem Management die Nummer mit dem "Global Player" bissl zu sehr in den Kopf gestiegen.

framaus

Beiträge: 4.316
Registriert am: 05.05.2007


Wenn sich allerdings schon die Gewerkschaften untereinander nicht einig werden,wird das mit der Gegenseite wohl umso schwieriger.
Das diese Menschen streiken ist ihr Recht.Ob das aber immer auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen werden muß,halte ich für fraglich.
Was mir auch auffällt,das gerade die schon recht Gutverdienenden streiken.So verdienen Piloten nicht selten 5-stellig .Auch die Post bewegt sich schon deutlich über 10€/h.Allerdings ist die Post wohl alles andere als sozial,obwohl ja auch mehrheitlich ein Staatsbetrieb .
Wurstblinker

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Wie soll den ein Streik von Lokführern, Müllfahrern oder Kindergärtnerinnen nicht auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen werden? Kannst Du das einmal praktisch darstellen?
framaus

Beiträge: 4.316
Registriert am: 05.05.2007


Man muß zum Beispiel einen solchen Streik nicht unbedingt auf den Ferienbeginn oder an Feiertagen legen und man kann vorrangig Güterverkehr nehmen,dann triffts auch nicht Otto-Normal .
Im übrigen werden Berufe im öffentl.Leben relativ gut entlohnt,verbunden mit einem hohen Kündigungsschutz.Auch das sollte man mal mit berücksichtigen.
Wurstblinker

Beiträge: 613
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Heute ist weder Ferienbeginn noch Feiertag, also ein gute Wahl.

Deiner Meinung nach sollten also relativ gut entlohnte Angestellte nicht streiken, weil´s denen ja bereits so gut geht. Wo wäre denn Deiner Meinung nach die Grenze unterhalb derer es zu streiken angemessen wäre?

Murphy

Beiträge: 1.775
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Streik macht nur Sinn, wenn es einer möglichst breiten Maase richtig den Tag vermasselt.

An sonsten sitzen das die hohen Herren auch gern mal aus...

Und auch die anscheinend recht gute Entlohnung steht oftmals nicht im Verhältnis mit Qualifikation, Verantwortung und Arbeitszeit (besonders die getätigten, aber nicht bezahlten Stunden).
Hinzu kommt bei den Lokführern, die streiken, damit vor allem auch den Hilfskräften, die wenn sie streiken würden niemand grossartig Beachtung schenken würde, auch zu ihrem Recht kommen.

Marlene

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Registriert am: 17.01.2007


Die GDL hat Rückgrat. Die Bahn will natürlich genau eines: Daß Lokführer nur für Lokführer streiken dürfen. Wenn die nämlich ihre Macht für den ganzen Rest einsetzen, dann wirds für den mittlerweile so schön profitablen Laden teuer. Deswegen spricht auch der Eigentümer kein Machtwort, sondern läßt die Kunden am Bahnsteig stehen und verabschiedet lieber ein Tarifeinheitsgesetz, um die Interessen der Arbeitgeber zu schützen. Nicht die Streikenden sind schuld, sondern die wirtschaftlichen Verhältnisse und das Aussitzenwollen zulasten der Kunden und der Arbeitnehmer. Schlimm, daß die Medien nun nach Lehrern und Beamten einen neuen Sündenbock gefunden haben, statt mal die wahren Schuldigen auszupfeifen. By the way: Eine gewisse Profilneurose hat jeder Chef, sonst würde er sich die Scheiße nicht antun. Wer will schon dauernd der Buhmann sein? Arbeit gehört anständig bezahlt, da könnte man auch mal im Gesundheitswesen auf den Putz hauen... Ich finde, es wird viel zu wenig gestreikt.
standard

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Und damit wären wir wieder beim von mir eingangs genannten Faktum: in - diesem unseren - Lande wird ausgesprochen wenig gestreikt, im Vergleich mit anderen EU-Staaten (zumeist mit den weiter südlich gelegenen ).
Ich bin wohlgemerkt kein Streik- oder gar Gewerkschaftsgegner (hoffentlich ist das oben nicht falsch rübergekommen...).
Was man dem Herrn Weselsky anlasten kann (oder muß) : er kommuniziert seine bzw. die GDL-Ziele nicht wirklich "volkstümlich" - es kommt immer irgendwie trotzig-rotzig rüber. Ein Franz Steinkühler (falls den noch jemand kennt) ist das defin. nicht...
Schade ist, daß (auch im Zus.hang mit dem richtig erwähnten Medien-"Shitstorm") mittlerweile das Verständnis für die Streiks innerhalb der Bevölkerung bereits akut gesunken ist - und das wohl auch weiter tun wird. Insofern erstaunen (bzw. auch: erfreuen) die hier geäußerten Meinungen zumeist.
Deluxe

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Registriert am: 13.12.2001


Franz Steinkühler?
Der war doch bei Carl Zeiss...

Die Bahn wartet auf das Tarifeinheitsgesetz - das ist der einzige Grund, warum es noch keine Einigung gibt, bisher.

POSTKUGEL

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Die Tarifeinheit hatten wir ja schonmal. Ich fand diese garnicht so schlecht.

Warum soll ein Arbeitgeber ueberhaupt eine Tarifbindung eingehen? Das Zauberwort heist Tariffrieden. Dieser wird durch die fehlende Tarifeinheit jedoch nicht mehr gewaehrleistet. Es gibt genuegend Moeglichkeiten zur Umschiffung von Tarifabschluessen seitens der Arbeitgeber. Inbsofern sollten die Spartengewerkschaften aufpassen, dass sie nicht zu sehr an dem Ast saegen, auf dem sie sitzen.

Was nuetzt ein schoener, arbeitnehmerfreundlicher Tarifvertrag, wenn er faktisch fuer kaum jemanden gilt?

Wurstblinker

Beiträge: 613
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Und da kommt wieder die GDL ins Spiel, die einen so hohen Organisationsgrad hat, dass er eben doch für sehr viele gilt.
standard

Beiträge: 19.357
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Aber eben bei Weitem nicht für Alle(Berufsgenossen) - und darin liegt m.E. eine ziemliche Krux. Demnächst kommt dann die nächste Teilgewerkschaft um die Ecke und fordert für Ihre Mitglieder wieder was ganz anderes. Sonderlich effektiv kommt einem sowas irgendwie nicht vor...
However: inzw. haben die Streit(/k)parteien eingelenkt und das Schlichtungsverfahren akzeptiert. Der große Auftritt des Vorruheständlers Platzeck steht bevor (und damit hoffentlich auch nicht gleich wieder ein Hörsturz o.ä. ).
POSTKUGEL

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Mit den Gewerkschaften ist es wie mit den Aerzten: Sie wollen den Leuten helfen, aber wenn alle gesund sind, werden diese arbeitslos.

Bestes Beispiel ist die GEW: Die hat sich nie nachhaltig fuer eine Verbeamtung der mitteldeutschen Lehrerschaft eingesetzt. Warum auch?

das moss

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Braucht man verbeamtete Lehrer?
POSTKUGEL

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Ja.

Braucht man private Versicherungen?

[Bearbeitet von POSTKUGEL (22-05-2015 - 09:09)]

Deluxe

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Registriert am: 13.12.2001


Braucht man eine privatisierte Bahn?

Wären Lokführer noch Beamte und die Bahn eine Staatsbahn, nach der man die Uhr stellen kann, gäbe es das Streikproblem gar nicht.

Naja - nun ist er über Pfingsten ja erstmal wieder vorbei, der Streik.

standard

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Nach dem Streik ist vor dem Streik, vmtl. ...
Inzw. hat der Bundestag das umstrittene Tarifeinheits(+ Gewerkschafts-Teilentmachtungs?)gesetz durchgewunken - am 12.Juni ist´s am Bundesrat, darüber zu befinden. Und alsbald wohl dann auch das Bundesverfassungsgericht.
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/tarifeinheitsgesetz-ist-beschlossen-und-nun-13606643.html
Beppo

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Registriert am: 01.10.2000


Ich mag den Claus Weselsky, weil der immer so schön sächsisch dräsdnert beim reden.

Streiken würde ich auch manchmal gern, habe aber leider keine Gewerkschaft, keinen Tarifvertrag und keine Ahnung, wie ich das machen soll. Aber ich gehe da einfach meinen ganz persönlichen Weg...

Hegautrabi

Beiträge: 11.164
Registriert am: 02.10.2005


Der Krankenschein als die Rache des kleinen Mannes?
Zählt nicht als Streik, nicht mal ein bisschen.
Beppo

Beiträge: 12.828
Registriert am: 01.10.2000


Ich war zwar wirklich einige Monate krank geschrieben, habe jetzt einen anerkannten GdB und bin abhängig (nicht süchtig ) von Medi´s, aber SO hatte ich das nicht gemeint.
Nach wie vor bin ich eher jemand, der mit Leistung überzeugt und bei Problemen das Gespräch sucht. Wird dieses Gespräch jedoch verwehrt, muß ich eben andere Wege gehen.
 

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